Wir waren 4 Tage im mexikanischen Dschungel, danach waren die Zigaretten alle und die Frisur derangiert. Auf dem Weg zurück vom Zigarettenautomat hatte die örtliche Friseurin noch offen und dank der bereits glimmenden Zigarette fühlte ich mich gewappnet für einen Besuch. Einen Besuch, ohne die örtliche Beauty-Fachsprache zu beherrschen birgt neuartige Probleme, wie ich bei der freundlich fragenden Begrüssung durch die Chefin bemerkte. Ich hatte mich schon umgeschaut und war zuversichtlich eingetreten, da die Produkte genauso aussahen wie bei allen Friseuren der Welt. Bunt und glänzend mit wunderbar lächelnden Gesichtern. Chefin mit Maya Vorfahren beginnt die Konversation: „Hola!“ und der Rest klingt nach der Frage „was ich denn wünsche“ nur eben auf Yucateca-Spanisch. Was in Reinform gesprochen eher nach genuscheltem Schwäbisch mit spanischem Akzent "von dr Alb ra" klingt und echt nicht zu verstehen ist.
Handy mit Übersetzungs App liegt zu Hause und ich komme ins Schwitzen. Was sagt sie? „Corta? …Ahhhh heisst bestimmt kürzen. Ich versuche radebrechend zu erklären, dass mein Mann schon gekürzt hat und ich nun etwas Eleganz wünsche. Ratlosigkeit. Volumen? Ja sage ich begeistert und frage, um die Verständigung zu erleichtern, nach - Bildern? Ein Handy wird gezückt und sie zeigt mir Fotos. Blondinen mit glänzendem Haar, Bilderbuchfrisuren und Gesichter aus dem Photoshop. Ich zeige auf eines, dass am wenigsten nach „Haarbehandlung“ aussieht: Löwenmähne sanft gefranst das Gesicht umschmeichelnd. Wollte ich schon immer haben und bekam es doch nie. Wir einigen uns mit Mimik ,Händen und Füssen auf einen Zentimeter kürzen. Die Chefin fragt nach geschlossenem Vertrag sichtlich verwirrt, wo denn jetzt mein Mann wäre, dem sie die Haare schneiden soll? Die Erklärung dass er selbst geschnitten hatte, erscheint vollkommen unwahrscheinlich und irreal. Ebenso die sanft gefranste Löwenmähne für einen Männerkopf. Wir lachen erstmal ob all der Kultur- und Sprach-Verwirrungen.
Ich nehme Platz und die Prozedur beginnt. Stoppt jedoch sofort wieder, weil der Fusshebel des Stuhls zur Höhenverstellung streikt. Ich bin zwar 30 cm grösser als die Chefin, aber der Arbeitsablauf muss stimmen, egal ob sie dann noch über mich drüber schauen kann. Mehrfaches erneutes und heftiges Treten auf den altersschwachen Hebel führt zu nichts. Mein Vorschlag, den Stuhl zu wechseln ist ihr wohl eher peinlich. Ich wage es nicht zu lachen, stattdessen verkrampft mein Gesicht im Bemühen, entsprechende Impulse zu unterdrücken. Denn Mexikaner sind sehr empfindlich, wenn es um ihre Ehre geht und diese stolzen Beautygirls sind bewaffnet. Dann beginnt die Schere zu klappern, die Frisur nimmt Form an, Klammern in allen Farben halten zwar die ordentlich portionierten Haarsträhnen nach oben, aber nüchtern betrachtet sieht das einfach peinlich aus und nimmt mir den letzten Rest meiner verbliebenen Würde. Es ist ja nicht so, dass ich gar keine Eitelkeit besäße!
Ich schließe die Augen, genieße das goldige Geplapper der Mädels, deren Stimmen ebenso gepflegt weiblich klingen wie ihr gesamtes an Influencerinnen geschultes Auftreten, und versuche, nicht nervös zu werden angesichts meiner traumatischen Friseur-Erinnerungen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass das, was auf den Boden fällt, die 5-Zentimeter-Marke deutlich überschreitet. Ein schielender Blick in den Spiegel lässt befürchten, dass es auch diesmal keine sanfte Löwenmähne wird, sondern eher eine brave Frisur à la schwäbische Jungfrau vom Lande Ende der 60er Jahre. Schnell die Augen geschlossen und daran gedacht, dass meine Haare zum Glück so schnell wachsen wie die Pflanzen im Dschungel. Und den Gesprächen der Mädels lauschen, die überall auf der Welt gleich sind: Frau X sieht immer noch so frisch aus wie mit 30, ganz ohne Botox und der ganze Rest vom üblichen Frisörtratsch über Kinder, Produkte, Ehemänner und Krankheiten im Dorf... Der gleiche Ton, die gleichen Themen, die gleichen Gesten und Frisuren, man kann sich heute überall zu Hause fühlen! Gott sei Dank gelte ich als völlig sprachunfähig und darf schweigen. Dann fängt sie an zu föhnen.
Ehrlich gesagt, dieser Teil des Rituals macht mich immer besonders nervös: dieses furchtbare, pedantische Langziehen der Strähnen, wo am Ende nur noch glatter Schnittlauch am Kopf klebt. Im Spiegel sehe ich Lieschen Müller Gestalt annehmen. Oder fürchte ich mich nur davor? IDas wird wohl wieder nichts mit der sanft gefransten Löwenmähne! Ich hasse es, wenn Fremde meinen Kopf in Besitz nehme!n! Inzwischen ist die linke Seite geföhnt, rechts sind die Haare noch nass und mit diesen blöden Klammern hochgesteckt, und etwas in mir beschließt, dem Ganzen jetzt sofort ein Ende zu setzen, das war sicher mein kleiner Drache. So reiße ich die Klammern ab, wuschle mir die noch verbliebenen Haare wild durcheinander und verkünde fröhlich, dass ich fertig bin. Weit aufgerissene Augen und Münder, der Föhn fällt zu Boden, Stille. Meine Friseurin verschwindet hinter der Trennwand, um abzurechnen. Ich eile hinterher. Der Preis ist etwa dreimal so hoch wie angegeben, aber egal, ich lege noch ein Trinkgeld drauf und verschwinde durch die offene Hintertür.
„Hasta Pronto“, höre ich sie noch murmeln, fassungslos auf das Geld in ihrer Hand starrend.
Heiko und ich haben die ganze Nacht gelacht. Und ich hoffe, die Beauty-Girls auch. Trotzdem werde ich bemüht sein, nicht mehr allzu nah an diesem Laden vorbeizugehen. Deswegen gibt es auch keine gscheiten Fotos, wofür ich herzlich um Entschuldigung bitte.
Lustige Geschichte. Musste gleich mitlachen 😄